Freitag, 15. März 2013

Ist die Krise eine Krise? – Workshop

Mit den Worten "Die Krisenrhetorik ist eigentlich so alt wie der Mann selbst," begrüßt Moderatorin Anna-Lena Scholz die Podiumsteilnehmer_innen: Prof. Dr. Martin Lücke, Dr. Andreas Heilmann und Dr. Ute Scheub. Doch steckt der Mann wirklich in der Krise oder handelt es sich hier um eine perfide Rhetorik der Machterhaltung? 

 v.l.n.r: Prof. Martin Lücke, Ute Scheub, Anna-Lena Scholz, Andreas Heilmann (Foto: Monika Keiler)

Im Impulsreferat beantwortet Prof. Dr. Martin Lücke die im Workshoptitel aufgeworfene Frage zur Krise der Männlichkeit ganz klar mit "Nein". Stattdessen attestiert er einen Krisendiskurs, von dessen Machtmechanismen Männer profitieren. Diese Strategie ist nicht neu: In der Geschichte finden sich immer wieder Beispiele dafür, wie in Zeiten von gesellschaftlichem Wandel Diskurse über die vermeintliche Krise der Männlichkeit dafür genutzt wurden, um genau diese zu stabilisieren. 




Vortrag von Prof. Dr. Martin Lücke (Video: Wanja Saatkamp)

Lücke meint vor allem den Diskurs von Jungen als Bildungsverlierern. Die zunehmende Ökonomisierung von Bildung, die den Druck auf junge Menschen ständig erhöht, macht insbesondere Jungs zu angeblichen Verlierern dieses Prozesses. Lücke identifiziert drei verschiedene Erklärungsmuster: Erstens der "Arme-Jungen-Diskurs". Mütter und Erzieherinnen und ihre angebliche Dominanz in der Erziehung seien schuld am vermeintlichen Versagen der Jungen. Im Klartext heißt das: An einer Krise von Männlichkeiten sind Frauen schuld. Zweitens der "Die-Schule-versagt-Diskurs". Dieser geht davon aus, dass die Bedürfnisse der Jungen verkannt werden, z.B. weil man nicht lange genug Fußballspielen kann in der großen Pause. An einer Krise von Männlichkeit ist demnach die Institution Schule schuld. Drittens den "Wie-Jungen-sind-Diskurs", der auf vermeintlich natürliche, also biologisch determinierte besondere Merkmale von Jungen verweist. Hier wird der Biologie die Schuld an einer Krise von Männlichkeit zugewiesen. 

Lücke erklärt: "In allen Diskursen werden Männlichkeitsbilder reproduziert, die auf eine Dichotomisierung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten setzen und mit männlichen Stereotypen arbeiten." Die Realität sieht nämlich ganz anders aus: Jungs stehen nicht als pauschale Verlierer unseres Bildungssystems da, sondern die Benachteiligung entsteht entlang der sozialen Kategorien Ethnie und soziale Herkunft. Die wahren Ursachen der Krise werden also verschleiert. 

Dr. Andreas Heilmann von der HU Berlin plädiert dafür, den Diskurs um die Krise der Männlichkeit differenzierter zu betrachten: Auf der einen Seite steht übertriebene Schwarzmalerei um das "Ende des Mannes", für das Konservative einen herbeifantasierten aggressiven Feminismus verantwortlich machen. Auf der anderen Seite stehen jedoch ernst zunehmende Statistiken, die ein Zurückfallen von Jungen und Männern hinter Mädchen und Frauen belegen; zum Beispiel bei Bildungsleistung, Gesundheitsverhalten und in manchen Branchen auch Jobchancen. Von feministischer Seite werden diese Statistiken häufig brüsk zurückgewiesen und stattdessen auf nach wie vor bestehende Benachteiligungen von Frauen und Mädchen verwiesen. Heilmann hält dieses Aufrechnen für unproduktiv: "Für eine Diskussion über die Krise von Männlichkeit ist es, so meine ich, unabdingbar, genau zu bezeichnen, worauf sich die Krisendiagnose konkret bezieht." Er schlägt stattdessen vor, die Krise der Männlichkeit in ihrem strukturellen Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Krise der sozialen Reproduktion zu betrachten.

Durch die Abschaffung des Sozialstaates wird Reproduktion – damit meint er die bezahlte Reproduktion durch Arbeit, sowie die unbezahlte Reproduktion von Leben – zunehmend ins Private verlagert. Studien zeigen die Auswirkungen: junge, niedrig qualifizierte Männer sind zunehmend kinderlos, weil ihre prekäre Erwerbssituation keine Familiengründung ermöglicht und/oder sie keine Partnerin mehr finden, die mit einem verunsicherten Familienernährer Kinder bekommen möchten. Doch auch in gehobenen Milieus verändert sich das Reproduktionsverhalten der Männer. Eine australische Studie belegt allerdings nicht etwa das alleinige Entstehen eines männlich-aggressiven, kinderlosen Managertypen, sondern vielfältige persönliche Strategien im Umgang mit den gestiegenen Anforderungen an das Berufsleben, die auch zugunsten von Familie und Gesundheit zu einem teilweise Ausstieg aus dem Beruf führen kann. 



 Vortrag von Andreas Heilmann (Video: Wanja Saatkamp)

Heilmann sieht in der sogenannten "Krise der Männlichkeit" einen permanenten Widerspruch von Männern, die zwischen den beiden Reproduktionstypen gefangen sind. Diese Krise ist jedoch kein Ausnahmezustand, wie der Begriff irreführend vermuten lässt, sondern die Normalität, ein Zustand, der lediglich in Zeiten des Wirtschaftswunders – zu Lasten der Frauen – halbwegs befriedet werden konnte. Die Krise ist also eigentlich keine des Mannes, sondern der "Institution der industriegesellschaftlichen Arbeitsteilung". Die Lösung der Krise würde beinhalten, dass Männer ihre Privilegien erkennen und auf sie verzichten: eine neue Männlichkeit, die in Kooperation mit Frauen eintritt, muss her. 

Der letzte Input kommt von Dr. Ute Scheub, Autorin des Buches "Heldendämmerung: Die Krise der Männer, und warum sie auch für Frauen gefährlich ist." Sie identifiziert das Patriarchat als Krisenverursacher. Scheub führt aus: "Da das Konzept der hegemonialen Männlichkeit untrennbar verbunden ist mit Werten wie Überlegenheit, Härte und Kampfbereitschaft stehen immer nur ganz weniger Sieger oben. Dafür gibt es aber sehr, sehr viele Verlierer. Die Erfolgreichsten gucken auf die anderen herab und bezeichnen sie als unmännlich, als Weicheier, als Schlappschwänze, als Warmduscher und Frauenversteher." Tatsächlich sterben Männer signifikant öfter als Frauen an Selbstmord, Unfällen, Gewalt, Krebs, Alkohol oder Drogenmissbrauch, an Mord oder allgemeinem Risikoverhalten. Es ist paradox: Die Mehrheit der Opfer von Gewalt sind männlich, gleichzeitig genießt die Mehrheit der Männer patriarchalische Privilegien. Die größten Verlierer sind alle, die von klassischen Männlichkeitsbilder abweichen, also nicht nur Schwule oder People of Colour, sondern auch solche mit von hegemonialer Männlichkeit abweichenden Einstellungen wie zum Beispiel Pazifisten. 

Martin Lücke, Ute Scheub

Scheub erklärt weiter, dass Misogynie, die in fast allen Gesellschaften, Kulturen und Religionen verankert ist, ein Ausdruck männlicher Selbstverleugnung ist. Auf der einen Seite sind Männer sexuell und sozial abhängig von weiblichen Körpern. Da aber männerdominierte Gesellschaften von Männern exakt das Gegenteil abverlangen, nämlich Autonomie und Unabhängigkeit, bringt sie das in einen unlösbaren Zwiespalt, aus dem der Frauenhass resultiert. Scheub zitiert eine Studie von Dr. Rolf Pohl, nach der die Angst vor Frauen mit 88 Prozent und die Angst vor Potenzversagen mit 84 Prozent die Spitzenplätze in der Rangfolge männlicher Ängste einnimmt. Diese Ergebnisse konterkariert sie mit ethnologischen Untersuchungen von matriarchalen Gesellschaften, in denen Gewaltfreiheit herrscht. Sie folgert: Gleichheit macht Gesellschaften friedlicher. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet in den skandinavischen Ländern auch die Männer sehr viel gesünder und glücklicher leben.

In der anschließenden Diskussion kommt unter anderem das Thema Homosexualität und Männlichkeit zur Sprache. Martin Lücke zeigt sich skeptisch gegenüber Modellen von Männlichkeiten wie das des "neuen Vaters", wenn diese ausschließlich über biologische Reproduktion bestimmt werden. Denn die aktuellen Forderung nach gleichen Rechten für Homosexuelle werden von Konservativen als Bedrohung für heterosexuelle Männlichkeit gelesen, obwohl sie eigentlich eine Übernahme des konservativen Familienmodells bedeuten. Text: Stefanie Lohaus