Freitag, 15. März 2013

Performing the Family – Eröffnungsvortrag

Der Titel der Veranstaltung, der einer Denkfigur von Simone De Beauvoir entliehen ist, heißt: Man wird nicht als Mann geboren. Unter diesem Banner eröffnete nach kurzen einleitenden Worten der Veranstalterinnen, Christina Schildmann und Anna-Katharina Meßmer, Prof. Dr. Jürgen Martschukat die Tagung mit einem Blick auf Männlichkeit(en).  

 
Versteht was von den Obamas: Prof. Dr. Jürgen Martschukat (Foto: Monika Keiler)

In seinem Vortrag betonte Prof. Dr. Jürgen Martschukat von der Universität Erfurt gleich, dass wir eigentlich anstatt von Männlichkeit von Männlichkeiten sprechen sollten. Erst in den Siebziger Jahren sei Männlichkeit überhaupt als geschichtswissenschaftliches Thema entdeckt worden: Davor war sie, in ihrer weißen Form als eine Art Originalcode für das, was menschlich ist, unmarkiert geblieben. Männlichkeit stand also lange Zeit gar nicht zur Disposition, während andere Identitäten, zuallererst die von Frauen, als das "Andere" zum Thema der Wissenschaft wurden. So brachte paradoxerweise gerade die Geschichtsschreibung von Frauen, die mit feministischem Impuls in den Sechziger Jahren begann, die Wissenschaft dazu, auch Männer als Effekte von Geschichte überhaupt wahrzunehmen.

Einen besonderen Schwerpunkt legte Martschukats Vortrag auf Barack Obama und seine Inszenierung als Familienvater, welche seine Feststellung untermauern sollte, dass eine zentrale Position in der neuzeitlichen Konstruktion von Männlichkeit die Rolle des Vaters einnehme. Ob Potenz oder Führungsqualität, die Rolle des Ernährers oder des Lehrers – in der Figur des Vaters scheinen diese Konstellationen sich zu kristallisieren. Auf dieser These aufbauend, analysierte Martschukat treffend, wie stark die Darstellung des Familiären in der Selbstinszenierung der Obamas eine Rolle spielt. Seine Beispiele aus den Reden sowohl von Barack Obama als auch seiner Frau Michelle verdeutlichten dies. Seit der Sklaverei sind schwarze Männer immer wieder als zu rationalem Handeln unfähig dargestellt worden. Demnach scheint es nachvollziehbar, dass die Obamas gerade diese Befähigung in den Mittelpunkt stellen. Wie Michelle Obama einmal am Ende ihrer Rede sagte: "All dies erzähle ich Ihnen heute Abend nicht nur in meiner Rolle als First Lady... und nicht nur als Ehefrau. Letzten Endes bedeutet mir der Titel "Mom-In-Chief" am allermeisten". Selbst Michelle Obamas Ansage, dass der altbekannte "Change" lange dauern würde, verband sich mit der Perspektive des Familiären: So zählte sie auf, dass ihre Kinder oder gar Enkelkinder erst die Früchte ernten würden, die die jetzige Politik der Obamas einleite. So scheint es gerade für die aus der afroamerikanischen Minderheit stammende Familie Obama besonders relevant zu sein, das Familiäre als Wert der Nation glaubhaft zu verkörpern.
 

Gerade die Zukunft mit ihrer Verbindung von Reproduktion, Blutsverwandschaft und dem Kind als symbolischen Statthalter, das alles in einer kommenden Zeit einlösen soll, was in der Gegenwart noch nicht gut genug ist, produziert eine straighte, reproduktive Perspektive auf die Zukunft als strukturellem Symbol der nationalen Gemeinschaft. In diesem Sinne lässt sich die Familien-Performanz der Obamas aus zwei Perspektiven betrachten. Einerseits haben sie es geschafft, in die ehemals weiße Domäne des Nationalen bis hin zur höchsten Position Zugang zu bekommen. Andererseits erhält diese strategische Performance des Familiarismus auch Kritik in der afroamerikanischen Community.

Als quasi unreproduktiv und strukturlos dargestellt, symbolisierten die Afro-Amerikaner die Differenz zur weißen Familie als zentral nationaler, ideologischer Figur. Wie nicht nur rassistisch, sondern auch unfair diese Projektion der Weißen auf die Schwarzen war, daran erinnerte Martschukat durch die Referenz an die Sklaverei und die Segregation: Waren es doch die Kidnapper der Sklaven in Afrika selbst, die deren familiäre Strukturen und Zusammenhänge zerstört hatten. So stand auf den Schildern der Männer der Black Power-Bewegung nicht umsonst "I am a Man" geschrieben, war doch dies genau die Kategorie, die ihnen aberkannt worden war.
 

Die "erfolgreiche" Performance der Obamas in dieser Konstellation der Familie nimmt demzufolge eine ambivalente Figur ein. Einerseits sollte ihnen gratuliert werden, genau den Ort des Familiären und Nationalen zu besetzten, der bisher nur Weißen vorbehalten war. Andererseits kann man es auch als Mimikry sehen, sich an den Status Quo anzupassen. So erwähnte Martschukat Kritiken aus der Black Community, die den Obamas eine Art Post-Racist Racism vorwarfen. Dass die Obamas jedoch auch an ihre Eltern und Großeltern erinnerten, um über die Klassenunterschiede gegenüber zum Beispiel einem reichen, weißen, konservativen Christen wie Mitt Romney zu punkten, sollte ihnen hingegen jede_r gegönnt haben.

Durch diese Vorstellung von Barack Obama legte Martschukat nachvollziehbar dar, dass es heute relevant erscheint, wirklich von Männlichkeiten in der Mehrzahl zu sprechen. Seine Erinnerung an die Intersektionalität, die immer mehrere Kategorien, wie Race, Class, Gender oder Sexualität relational betrachtet, erscheint als ein wichtiger Appell für die gesamte Zukunft der Geschlechterforschung.
 

Text: Tim Stüttgen

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