Sonntag, 17. März 2013

"Jeder hat den gleichen Respekt verdient": Interview mit Eldem Turan

Eldem Turan ist Gruppenleiterin der Berliner Organisation HEROES, die sich gegen Gewalt und Unterdrückung an Frauen und Männern im Namen der Ehre einsetzt. In Trainings richtet sie sich an junge Männer zwischen 16 und 23 Jahren, die aus patriarchalisch geprägten Gesellschaften kommen, und bildet sie zu HEROES aus. Die ausgebildeten HEROES leiten schließlich Workshops für andere Jungen und Mädchen. Ihr Ziel ist das Aufbrechen unterdrückender Denkmuster.


Eldem Turan (links) beim Workshop "Wann ist der Mann ein Mann"


Wie reagieren junge Männer in Schulen auf selbstbestimmte Frauenbilder?

Für einige Jugendliche, die noch in alten Mustern denken, ist es schwierig, selbstbestimmte Frauen als positiv anzuerkennen. Sehr viele Jungs wiederum haben selbstbewusste Schwestern oder Freundinnen, und sie haben eigentlich nichts dagegen. Die Frage ist, inwiefern ihre Männlichkeit durch diese Frauen bedroht ist. Wenn sie merken, dass ein Mädchen zur Konkurrentin werden könnte und der Junge nicht selbstbewusst ist, dann könnte das in dem Augenblick aufgrund seines bisherigen Erfahrungshorizonts zu Konflikten führen. Unbewusst möchten viele Jungs deswegen eine selbstbewusste Entwicklung von Mädchen auch unterbinden oder unterdrücken. Durch HEROES werden diese Grenzen oft aufgeweicht, diese Angst gemindert. Wir sagen "Hey, hört mal zu, eine selbstbestimmte Frau ist keine Gefahr für euch, auch nicht für eure Männlichkeit. Nur weil sie stärker ist, werdet ihr nicht automatisch schwächer. Wenn sie stärker ist, könnt ihr vielleicht Schulter an Schulter ein ebenbürtiges Team werden, und das kann euch beide noch stärker machen.“ Und dieses Bewusstsein herauszukristallisieren, das ist sehr wichtig und das funktioniert auch oft, man muss die Jugendlichen nur auf diesen Blickwinkel bringen.
Wird in Schulklassen auch außerhalb der heterosexuellen Matrix gedacht?

Nein, in Schulklassen sind heterossexuelle Beziehungen die Norm.
Dass man darüberhinaus über homosexuelle Paarbeziehungen spricht, so weit kommt es gar nicht, weil dies in patriarchalen Denkmustern keinen Platz hat. Allerdings sind viele der Meinung, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden sollten, das ist schon mal wichtig. Unsere Jungen beziehen Stellung. Sie sind so weit reflektiert, dass die sexuelle Orientierung für sie keine Rolle spielt und sie gegen eine Diskriminierung von Homosexuellen vorgehen. Das ist das, was wir zum Thema homosexueller Beziehungen in den Schulklassen auch einbringen: jeder hat den gleichen Respekt verdient.

Wie wird das Thema „Slut Shaming“ unter Mädchen behandelt?
 

Das ist ein sehr großes Problem. Das ist der Grund, warum wir auch nebenher Mädchenarbeit machen. Es reicht nicht, dass die Jungs sich verändern. "Slut Shaming" passiert auch unbewusst, das kriegen viele Jungs gar nicht mit, weil Mädchen da ein bisschen verdeckt sind, in Form von Lästereien, Zickereien. Aber ich finde, das geht Hand in Hand, das ist ein ebenso großes Problem. Wenn die Mädels sich mehr unterstützen würden, und nicht von sich ablenken, indem sie die andere sofort als Schlampe bezeichnen oder in ihrem selbstbewussten Werdegang hemmen, dann hätten die Jungs auch nicht so viel Macht darüber, diese Mädels unterdrücken zu können. Und das ist ja eigentlich noch viel wichtiger, als nur mit den Jungs zu arbeiten. Das ist auch das, was ich in Schulklassen oder den Mädchengruppen mache. Ich gehe sehr viel auf dieses "Slut Shaming" ein. Vor allem die Mädels verstehen, warum oft andere Mädels heimlich rausgehen oder warum sie so gerne jetzt diesen Rock anziehen möchten. Weil sie wissen, dass es von einer Form von Kontrolle und Unterdrückung kommt. Aber sie sind nicht ehrlich genug um zu sagen: "Ja, das gönne ich ihr, soll sie doch machen, ich stehe hinter ihr". Sie merken in dem Augenblick, wenn dieses Mädchen ihren Weg geht, haben sie selbst es nicht geschafft, aus ihrer Schale auszubrechen. Das ist ein Gefühl von Versagen und das möchte kein Mädchen spüren

Wie wird das Projekt von den Familien empfunden?
 

Die Familien der HEROES sind sehr unterschiedlich. Es gibt viele Familien, vor allem Mütter, die das Projekt von Anfang an sehr unterstützen und auch sehr stolz auf ihre Söhne sind. Wir machen auch Elternarbeit und weisen sie in unsere Arbeit ein. Es gibt jedoch auch Eltern, die denken, das sei vielleicht nur wieder so eine Jugendgruppe. Die können sich darunter noch nichts Konkretes vorstellen. Sie verbieten es ihren Kindern nicht, aber sagen manchmal auch "Sei vorsichtig, ich weiß nicht, was ihr da lernt“. Wenn sie von uns eingeladen werden und wir die Ergebnisse davon präsentieren, was ihr Sohn schon vollbracht hat, wie viele Jugendliche er erreicht hat, was er für eigenständige Workshops entwickelt hat, was er für eine Haltung entwickelt hat, merken sie "Wow, mein Sohn ist eine riesengroße Bereicherung für diese Gesellschaft und macht sehr wichtige und wertvolle Arbeit“. Dann sind alle Eltern stolz auf die Arbeit, die die HEROES machen.

 
Interview: HY



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